Noch ist es nicht so weit, dass ausschliesslich Algorithmen darüber entscheiden, ob jemand zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Die Gegenwart der Rekrutierung ist allerdings bereits digital. Die Zukunft wird aber zusätzlich zum E-Recruiting wieder überraschend analog.

Abdullah Redzepi nervt sich. Redzepi ist Dozent und Experte am Institut für Qualitätsmanagement und Angewandte Betriebswirtschaft IQB-FHS und beschäftigt sich dort unter anderem mit dem Bereich E-Recruiting. Der Grund für seine Unzufriedenheit ist, dass er bei einer Stellenanzeige auf LinkedIn nicht per Knopfdruck sich mit seinem eigenen Profil bewerben kann: «Wenn ich nirgends eine einfache Bewerbungsmöglichkeit sehe, würde ich das Inserat gar nicht länger beachten. Es kann noch so interessant sein. Ohne Link aber ist die Bewerbung die gleiche Tortur wie bei einer klassischen Stellenausschreibung wie vor 10 Jahren.»

Beim E-Recruting handelt es sich um digitalisierte und teilweise automatisierte Rekrutierung. Während Tools unterdessen die Arbeit der Rekruiter Per Algorithmus zum Vorstellungsgespräch viel einfacher machen, so, ist die Arbeit der Bewerber immer noch aufwändig – zum Ärger von Experte-Redzepi.

Der Bewerbungsprozess ist für die HR-Abteilungen mit einem riesigen Aufwand verbunden, den eine Automatisierung dramatisch reduzieren kann: Vanessa Hunkeler, Leiterin Refline, die E-Recruiting Lösung der Abraxas Informatik AG in Zürich, erklärt, dass der administrative Aufwand durch den Einsatz eines solchen Tools, sich um 60 bis 70% reduziere. «Früher waren die Tools sehr statisch – die neuen Produkte sind hier viel besser,» bewertet Claudia Bruggmann, Leiterin Personal bei der Fachhochschule St.Gallen, solche Software.

Heute ermöglicht die Software den Rekruitern einen Prozess den sie vollständig in der gleichen Software abwickeln können: Eine Personalverantwortliche wählt im Tool Textbausteine aus, fügt damit das Stelleninserat zusammen und schaltet das Inserat direkt aus dem Tool auf der eigenen Webseite und Jobplatformen auf. Ein Bewerber klickt im Inserat einen Link, wird in das Tool geführt und kann dort in einem Formular seine Angaben erfassen und dann der Verantwortlichen übermitteln. Das E-Recruiting-Tool trifft eine Vorauswahl oder ermöglicht eine einfache Bewertung der Bewerbungen.

Vom Algorithmus aussortiert

Der letzte Schritt deutet an, dass diese Tools mehr als nur eine Datenablage sind: Algorithmen durchsuchen die Bewerbungen nach Keywords und nehmen den Vergleich der Bewerbungen und eine automatische Vorselektion vor oder bietet manuelle Filter- und Sortiermöglichkeiten – so zum Beispiel ein Teil der Leistung der Abraxas-Software Refine. Dies führt dazu, dass man auf „Wie bewerbe ich mich richtig?“-Webseiten den Rat finden, Schlüsselwörter aus der Stellenanzeige in die eigene Bewerbung zu packen, um so die Aufmerksamkeit des Algorithmus zu bekommen.

Redzepi meint aber, dass Algorithmen den Menschen nie vollständig ersetzen werden, da es diese immer noch brauche um herauszufinden, ob die Chemie stimmt: «Das können die Algorithmen oder Roboter noch immer nicht.» Und auch Hunkeler von Abraxas bestätigt, dass der gesunde Menschenverstand bei jedem Rekrutierungs-Schritt notwendig sie und sie deswegen bewusst darauf verzichtet haben, den Algorithmus mit den Absagen zu beauftragen.

Digitales Matching

Die Zukunft wird virtuell, aber dennoch persönlicher meint Raphael Mösch, Mitgründer und Geschäftsführer von Dualoo in Goldach: „Bewerbungsvideos, die Motivationsschreiben ablösen oder ergänzen sowie Video Interviews, welche, für den Bewerber, bequemer von zu Hause aus gemacht werden können“. Ebenfalls werden mehr der Prozesschritte auf dem Mobiltelefon oder dem Tablett stattfinden, so sind sich die Experten und Anbieter sicher.

Die grösste Veränderung aber werden mittels den Begriffen Matching (Abgleich) oder Sourcing (Beschaffung) beschrieben, wo die Software passende Kandidaten findet. Hunkeler erklärt: «Ich glaube, dass in Zukunft noch viel mehr übers Sourcing laufen wird, weshalb wir auch das Modul Talenpool anbieten. Der Fachkräftemangel wird sich in einigen Branchen enorm verstärken, so dass „post and pray“ ausgedient hat.» Auch für Bruggmann werden die persönlichen Kontakte wichtiger, also, dass Unternehmen wechselwillige Menschen kennenlernen, welchen sie später eine Arbeitsstelle anbieten kann: «Es reicht nicht mehr auf die richtigen Bewerbungen zu hoffen. In der Rekrutierung werden wir aktiv auf Fachkräfte zugehen müssen». Eine gute Arbeitgeber-Reputation ist hier entscheidend um gute Fachkräfte rekrutieren zu können. Redzepi bestätigt diesen Paradigmawechsel, weg von „Ich will bei ihnen arbeiten“, hin zu „Ich will, dass sie bei uns arbeiten.

 

Dieser Artikel ist im FHS-Magazin Substanz erschienen. Das Magazin kann unter hier angeschaut werden.

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